Anzeichen eines Silvester-Katers zeigen an diesem Abend weder Akteure noch Publikum. Eher die Entschlossenheit, das neue Jahr mit frischen Kräften und guter Laune zu gestalten.
Benjamin Eisenberg, Gastgeber und Moderator des Abends, hat am 3. Januar – schon zum wiederholten Mal – ins Senftöpfchen eingeladen und eröffnet das Geschehen mit einem Parforce-Ritt in Sachen politischem Kabarett. Er seziert souverän und mitleidlos die wenig erbauliche Jahres-Bilanz der Ampel-Regierung, nutzt dabei treffsicher Fotos, Memes und Pressezitate, aus denen etwa zu lernen ist, dass Olaf Scholz auf eine ihm unliebsame Frage nicht verbal reagiert, sondern indem er schaut. Und zwar „so ausdruckslos, wie man nur ausdruckslos schauen kann“. Und Eisenberg hat einen Vorschlag, wie Rechtsradikale und Islamisten den Hass aufeinander sozialverträglich ausleben können: beim Massenshowdown in einem Sportstadion, welches keiner der Parteien Heimvorteil bietet. Der zum Schluss überlebende Kämpfer wird ins Dschungelcamp weitergereicht, das er mit Till Lindemann, Oliver Pocher und Richard David Precht teilen darf, „denn Strafe muss sein“. Ganz nebenbei zeigt Eisenberg sich noch als versierter Parodist, der Helmut Schmidt wiederaufleben lässt, um dem aktuellen Politik-Personal eine Lehrstunde ztu erteilen.
Der erste Gast, Matthias Reuter, identifiziert das Publikum im Senftöpfchen als "Leistungsträger der Kölner Gesellschaft" und erzählt von der Initiative eines pensionierten spanischen Arztes. Unter dem Motto, „ich bin alt, aber nicht dumm“ kämpft der dafür, dass Banken ihre älteren Kunden nicht in die digitale Wüste schicken, sondern ihnen weiterhin die Möglichkeit des persönlichen Kontakts am Schalter anbieten. Reuters Idee für eine Protestaktion, die dieser Forderung Nachdruck verleiht: Die Rentner drohen, jeden Morgen massenhaft in Bankfilialen aufzukreuzen, um jeweils 5 Euro einzuzahlen. In Münzen! Geschichten wie diese präsentiert er als Songs, bei denen er sich ausdrucksstark am Piano begleitet und stimmlich als Shouter überzeugt, der es locker mit Marius Müller-Westernhagen aufnehmen kann. In Oberhausen geboren, zeigt Reuter in seinen Beobachtungen große Zuneigung für den weltweisen Mutterwitz und die illusionslose Unbeugsamkeit, mit der seine Mitmenschen im Ruhrgebiet den Alltag und das Leben bewältigen.
Den zweiten Teil des Abends eröffnet Dagmar Schönleber, „die Felsin der Brandung“, so der Titel ihres aktuellen Programms. Die Brandung, das sind die gesellschaftlichen Umbrüche, Verwerfungen und Multikrisen, aus denen gerade allzu viele Menschen die falschen Schlüsse ziehen. Schönleber kontert das mit dem Mut, Ratlosigkeit und Gefühle zu zeigen. In dem Lied „wenn du heulen willst“ erzählt sie Episoden, in denen Tragik und Komik wirklich nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt sind. Das Leben vor lauter Angst gar nicht erst leben zu wollen, kann jedenfalls keine Lösung sein – ihre Großmutter, so Schönleber, hätte der Enkelin am liebsten gar nichts erlaubt, weil nach Omas Befürchtung sowohl das Kauen von Kaugummi, das Werfen von Schneebällen wie auch das frische-Luft-schnappen unweigerlich zum Tode führen würden. Dass sie davon unbeeindruckt geblieben ist, zeigt sie mit ihrer Version des 70er Jahre-Krachers „Born to be alive“ – „Paderborn is high“. Vorgetragen mit einer so noch nicht dagewesenen Art von Ausdruckstanz, der die Kölner Leistungsträger nach Luft schnappen lässt.
Das Finale bestreitet Heinz Gröning, „der unglaubliche Heinz“. Großmeister der Publikums-Animation und Erfinder der gesungenen Zuschauerbegrüßung. Der Begriff „Mitmachen“ bekommt bei seinem Auftritt eine völlig neue Qualität. Ein halbherziges Mitträllern mag anderen Akteuren genügen, der Unglaubliche aber lässt nicht locker, ehe tatsächlich „jede Stelle, jede Zelle, jedes Molekül“ im Auditorium zum leidenschaftlichen Mitschwingen gebracht worden ist. Dazu gibt er Ausblicke auf seine demnächst stattfindende „freche kleine Karnevals-Show“ und hat eine aktuelle Veröffentlichung im Gepäck, „Auf der Gedankenflucht – Fifty Shades of Heinz“. Welche Seite das Buches man auch immer aufschlägt, es findet sich garantiert eine humoristische Miniatur, die lachen macht. Der Saal ist da längst auf Betriebstemperatur und performt auch Grönings Schluss-Lied vielstimmig mit.
Mit dem Neujahrskabarett bieten Eisenberg und seine Gäste einen überzeugend komponierten Start ins Kölner Kleinkunst-Jahr, das gerne so weitergehen darf! Für das Publikum im Senftöpfchen jedenfalls hat der Abend keine Wünsche offen gelassen – einzig den lautstark geäußerten nach einer Zugabe.
weitere Termine der Beteiligten:
Benjamin Eisenberg So, 14.04., 17:00 Uhr Köln, Senftöpfchen Dagmar Schönleber Fr, 02.02., Köln, Klüngelpütz Matthias Reuter Sa, 27.04. Köln, Bürgerhaus Stollwerck Heinz Gröning Do, 07.03. Köln, Bürgerhaus Stollwerck
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