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Grandios unbequem. Fred Apes letzte CD „Bedingungslos“

Aktualisiert: 4. Feb. 2021


Klar doch: Fred Ape hat seine künstlerische Arbeit als Liedermacher in den 70er Jahren begonnen und auch im Spätsommer 2020 offenbar keinen Anlass gesehen, von diesem musikalischen Stil abzuweichen. Gleich der erste Titel, „Bedingungslos“, könnte als Soundtrack zum Gartenfest einer alternativen Land-WG taugen; Auftakt zu einem Nostalgie-Trip ist er aber keineswegs. Mit diesem Album zeigt sich vielmehr, dass die Kunst des Liedermachens auch heute nicht nur funktioniert und berechtigt ist; sie entfaltet sogar eine Wucht, die sie vor 40 Jahren noch gar nicht haben konnte. Denn die Welt erlebt einen Zeitenumbruch, und hier wird er mit schmerzhafter Präzision beschrieben: Wie demokratischer Diskurs und Debatte durch die Entstehung von Fake-News-Parallelwelten ausgehöhlt werden. Wie uns das Ereignis des „Sturms“ auf den Reichstag im vergangenen August sprach- und ratlos macht. „2 + 2 = 5“ erzählt das nicht einfach nur als Lied, sondern als beklemmende Klangcollage. Beginnend mit dem O-Ton der Querdenken-Aktivistin, die mit sich überschlagender Stimme dazu aufruft, „unser Haus“ zurückzuholen und endend mit der zunächst verhalten skandierten Wahn-Parole einiger Realitätsleugner, die zu einem ausufernden Zombie-Chor anschwillt. Und dann benennt Ape das Kernproblem: Wir können noch so sehr den Kopf schütteln, noch so sehr lachen über den eindeutigen Irrglauben; das nützt wenig. Wenn wir die Bedrohung, die da aufzieht, eindämmen wollen, muss uns mehr einfallen.


Aber weiter: Im Stakkato von „Du hast nur Glück gehabt, dass du hier geboren bist“ erleben wir einen zornigen Shouter, der seinem Zuhörer die Einsicht um die Ohren haut, dass es niemandes Verdienst ist, in einem westlichen Industrieland des 21. Jahrhunderts zu leben, und dass in diesem Zufall auch keinerlei Berechtigung gründet, auf andere herabzuschauen. Ein Stück, das Gänsehaut macht; man möchte Campino empfehlen, es umgehend ins Repertoire der Toten Hosen aufzunehmen. Das hat definitiv das Zeug zum Hit.


„Flüchtling der Erde“ – ein weiteres Highlight. Eine Adaption von Donovan‘s „Universal Soldier“ und was für eine Replik auf diesen Klassiker! Nicht die zu jeder Zeit und an jedem Ort der Weltgeschichte wütenden militärischen Gewalttäter müssen wir in den Blick nehmen, sondern vielmehr deren Opfer! Angefangen von Moses in Ägypten bis zu den Flüchtlingen aus dem Irak, Syrien und Afghanistan – sie sind die universellen Gestalten aller Epochen. Am Umgang mit ihnen kann die Weltgemeinschaft wachsen – oder scheitern.


Ablenkung, gar Trost sind da auch in Peter Alexanders „kleiner Kneipe“ nicht mehr zu finden. In Apes Version ist sie zu einem Lost Place geworden. In Folge der Corona-Krise leergefegt und aufgestuhlt; an die Tür ist noch ein letzter Gruß des Wirtes gepinnt.


Angesichts der Schwere dieser Themen habe ich schließlich gerätselt, warum die CD insgesamt einen doch leichten und beschwingten Charakter hat. Es liegt zum einen an der mit dem langjährigen Partner Guntmar Feuerstein in dessen Kopfhörer-Studio entwickelten Musik: In den Arrangements sind Banjo, Akkordeon und Background-Chöre, E-Gitarre und Orgel so klug dosiert eingesetzt und transparent abgemischt, dass man die Stücke gerne in einem Schwung durchhört. Es liegt an liebevollen, witzigen und selbstironischen Beobachtungen wie in „Weise wie ein Narr“, „Wovon leben Sie denn so?“ und „Mein Nachbar“. Und es liegt daran, dass man Ape nicht als besserwissenden Einzelkämpfer wahrnimmt, sondern als einen, der dem, was viele sehen und empfinden, musikalischen Ausdruck und die passenden Worte geben wollte.


Es wirkt dann auch auf ganz traurige Weise stimmig, dass der letzte Titel des Albums ein Nachruf ist. Auf einen anderen Spieler, in dem sich die Gemeinschaft wiedergefunden hat: auf Manni Burgsmüller, Fußball-Legende im Pott.


Und was sagt ein Torschütze beim Interview am Spielfeldrand? „Ich bin froh, dass ich der Mannschaft helfen konnte.“ Fred Ape hat der Mannschaft geholfen. So viele Jahrzehnte. Auf so großartige Weise. Mit seinem unerwarteten Tod hat er hinter sein letztes Werk das größtmögliche Ausrufezeichen gesetzt.


Wir sollten es nicht übersehen.


Fred Ape. Foto: Andre Noll

Fred Ape. Bedingungslos.

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