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„Die Politik“ wird uns nicht retten!

Aktualisiert: 1. Feb. 2021

Warum wir vor allem selbst dafür sorgen müssen, dass es unsere Kultur auch nach der Krise noch gibt.


Heute berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger, dass ein weiteres Mitglied der „Räuber“ in Folge der Corona-Krise mit der Musik aufhören und sich anderen beruflichen Tätigkeiten zuwenden will. Es ist nicht der einzige Fall und wird nicht der letzte bleiben.


Silvester haben wir ja alle mit der Hoffnung begangen, dass wir ein komplett verkorkstes Jahr hinter uns lassen, und dass 2021 bestimmt nur besser werden kann. Diese Hoffnung hat getrogen. Von der Rückkehr auf die Bühnen, dem Wiedereröffnen der Theater sind wir weit entfernt, und was sich für die Zukunft abzeichnet, macht Angst. Schon jetzt ist klar, dass einige Häuser die Krise nicht überleben. Die verbliebenen werden Risiken vermeiden wollen und sich auf weniger, dafür vermeintlich sichere Veranstaltungen konzentrieren. Es werden weniger Zuschauer kommen – sei es aus aufgrund weiterhin bestehender Kapazitätsbegrenzungen oder aus Vorsicht. Die Theater werden gezwungen sein, einen höheren Anteil der Einnahmen für sich zu behalten (was in meinen Augen verständlich und angemessen ist). Die Fragen, die wir uns stellen, werden damit von Tag zu Tag bedrängender: Wann geht es wieder los? Im April? Mai? Juni? Retten uns Open Air Veranstaltungen? Autokinos? Wie viele Auftritte wird es noch geben? Wie viele Menschen werden in den Theatern sitzen? Fünfzig? Oder doch nur zwanzig?


Die Regierung macht zwar vollmundige Ankündigungen, Betroffene zu unterstützen; die Hilfen sind dann aber so gestrickt, dass sie letztlich wieder zurückgezahlt werden müssen, oder sie werden verschleppt. Die Novemberhilfe, vor drei Monaten in Aussicht gestellt, ist bei vielen noch immer nicht angekommen. Und die Steuerberater weisen nachdrücklich darauf hin, dass auch ausgezahlte Hilfen möglicherweise wieder zurückgefordert werden könnten. Das macht wütend.

Politiker-Statements zum Thema Kultur klingen außerdem oft so, als könne unser „kreatives Künstlervölkchen“ den kompletten Zusammenbruch in Jahrzehnten gewachsener Strukturen mal eben dadurch kompensieren, dass es ein paar Streams und Filme ins Netz stellt. Und es wird süffisant auf den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung verwiesen. Langsam habe ich Schaum vorm Mund. Wer das noch nicht wusste, merkt es jetzt: Hartz IV ist materiell weniger als Wasser und Brot. Psychologisch ist es ein Tiefschlag. Ein Gedanke kriecht ins Hirn: Vielleicht will man uns ja genau da haben: Zu Sozialfällen etikettiert. Und von der vermeintlich großzügigen Soforthilfe wird jetzt gerne im Zusammenhang mit dem Begriff „Betrug“ berichtet. Steckt ein großer Plan dahinter? Glaube ich nicht. Ist es schiere Ignoranz? Das dann auch nicht. Nein. Eher ein Fremdeln mit dem ewigen Schmuddelkind.


Die Kultur, der ich mich als Kabarettist zugehörig fühle, hat ihre jüngere Tradition in den 68er-Umbrüchen. In der Liedermacher- und Kabarett-Szene der 70er Jahre. Mit dem Kabarett habe ich 1986 angefangen und dabei eine wunderbare Welt entdeckt: Clubs, Keller- und Kneipenbühnen wie das Heppel & Ettlich in München. Kulturvereine in der Provinz wie das Podium in Kaufbeuren, die sich zäh, hartnäckig und gegen Widerstände in ihrem oft stinkkonservativen Umfeld behaupten mussten. Der Humus dieser Kultur waren Anti-AKW-Bewegung, Rock gegen Rechts, die Grünen, Emanzipations- und Friedensbewegung, Spontis, Kommunisten und die SPD-Basis. Das Programm politisch. Unterhaltsam natürlich – das war und ist unsere Existenzberechtigung –, aber eben auch analytisch, hinterfragend oder – wie Hanns Dieter Hüsch einmal gesagt hat – „zersetzend“.

Ja, die Inhalte sind im Lauf der Zeit glatter, geschmeidiger und gefälliger geworden. Ja, es geht um mehr als Kellerbühnen, es geht um eine Kulturlandschaft von sehr großer Breite. Aber auch für die wird deutlich: Auf „die Politik“ können wir nicht rechnen, dürfen wir nicht warten und dürfen wir uns nicht verlassen! Denn die versteht uns nicht. Die wird uns immer mit Argwohn betrachten. Für die sind wir allenfalls interessant, wenn wir uns zu einer Elbphilarmonie verdichten. Und – so viel Stolz sollten wir haben: Auf deren Gnade wollen wir auch nicht angewiesen sein!


Wir müssen uns in diesen trüben letzten Januartagen des mit so viel Hoffnung begonnen neuen Jahres einer unendlich bitteren Wahrheit stellen: All die eingespielten Abläufe und Selbstverständlichkeiten, die es bis zum 14. März 2020 gab – sie sind verloren, und sie kommen nicht wieder. Erkennen wir diesen Verlust! Jetzt! Trauern wir! Jetzt! Und dann: Wachen wir aus der Schockstarre auf! Schütteln wir die Lähmung ab! Und kämpfen wir! Nicht erst im Sommer. Jetzt schon. Um jedes Theater, jede Veranstaltungsreihe, jedes kommunale Kulturprogramm. Um jede Zuschauerin und jeden Zuschauer. Lassen wir es nicht zu, dass immer mehr KollegInnen keine andere Möglichkeit als den Rückzug sehen.


Natürlich müssen wir uns dabei auch an die politisch Verantwortlichen wenden. Müssen zetern und kreischen bis noch der letzte Cent für Theater, Künstler, Techniker, Designer, Fotografen, Caterer locker gemacht ist, den man auftreiben kann. Wir müssen uns vernetzen, müssen drohen, schmeicheln, schleimen – alle Register ziehen. Aber wie die Kulturlandschaft in Zukunft aussehen wird – das soll und wird an uns liegen. Immerhin: Wir wissen, dass es geht. Was einmal aufgebaut worden ist, kann wieder aufgebaut werden. Tun wir das. Und zwar in diesem Wissen: Wir sind nicht für das System relevant, wir sind es für die Menschen.

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