Über einen großartigen Künstler, der es keinem recht machen kann – und will.
„Kokain“ und „Heute hier, morgen dort“ – das waren die ersten Lieder von Hannes Wader, die ich als 12jähriger in einer Pfadfindergruppe in Kassel kennenlernte, und ich habe sie sofort begeistert mitgesungen. Das erste Wader-Konzert erlebte ich Ende der 70er Jahre in der Kasseler Stadthalle. Die war mit rund zweitausend Menschen gefüllt. Wader spielte solo und stellte – gerade mal Ende 30 – Lieder aus seinem „kleinen Testament“ vor. Hinweis darauf, dass er nach einem guten Jahrzehnt im Rampenlicht schon eine ganze Reihe schmerzhafter Häutungen durchgemacht hatte.
In meinem Freundeskreis mokierte man sich darüber, dass er auf der Bühne allen Ernstes bordeauxrote Cowboystiefel trug – das ginge ja nun gar nicht. Über sein Bekenntnis zur DKP wurde gelästert. Über die unzeitgemäße Folk-Picking-Gitarre – da konnte er sie noch so virtuos spielen.
Ein Solitär unter den Liedermachern
Grosse Liedermacherkonzerte waren damals keine Ausnahme. Wader war in illustrer Gesellschaft. Auch Ludwig Hirsch kam vorbei. Konstantin Wecker, Klaus Hoffmann, Hermann van Veen. Das waren immer gefeierte Abende. Wader zu erleben war für mich aber dennoch etwas Besonderes. Kein anderer war auf eine so private Weise persönlich. Verletzlich. Dünnhäutig. Gelegentlich ausfallend gegenüber Zuhörern, die irgendetwas zu bekritteln hatten. Und als das Publikum ausgerechnet bei den Moorsoldaten mitklatschen wollte, hat er das sofort empört unterbunden: „Das ist kein Klatschmarsch!“
Es ist an der Zeit
Auf einen Höhepunkt seiner Laufbahn bewegt er sich da noch zu: Den Auftritt auf der Bonner Hofgartenwiese, als er am 22. Oktober 1983 vor Hunderttausenden „Es ist an der Zeit“ sang. Das Lied vom toten Soldaten des Ersten Weltkriegs, dem er verspricht, einen kommenden, katastrophalen Krieg verhindern zu wollen. Wer dabei war, wird es nicht vergessen haben. So eindrücklich dieser Moment aber auch gewesen ist – mit der Billigung der Raketenstationierung und damit der Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses durch den Deutschen Bundestag gerade mal einen Monat später, war der Friedensbewegung der Zahn gezogen. Und einen wie Wader zu verspotten war dann scheinbar wieder leicht: Der „Heino der DKP“, der sich offenbar an ein „idotensicheres Weltbild“ klammern müsse. Musikalisch hat die Neue Deutsche Welle triumphiert, Waders Publikum hatte bald auch in einem Saal für dreihundert Personen Platz. Die Zuhörer, die sich nun darüber beschwerten, dass die Lieder jetzt melancholisch waren und nicht mehr so kämpferisch wie früher, die hat er dann auch zusammengefaltet. In dieser Zeit habe ich eines seiner Konzerte in Freiburg erlebt. Bekannte, die ebenfalls dabei waren, haben sich anschließend darüber echauffiert, dass Wader im kurzärmligen T-Shirt auf der Bühne stand, und offenbar Fitness-Training betreibe. ("Wahrscheinlich nimmt er auch Doping-Mittel! Wie kann er nur!")
Nach Hamburg
Ich habe es selbst einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass ich 1989 – als die Welt ja bekanntlich mit anderen Dingen beschäftigt war – auf Waders, nach meinem Gefühl (und auch nach seiner eigenen Einschätzung), gelungenstes Werk aufmerksam geworden bin: Das Album „Nach Hamburg“. Ein Liederzyklus, der Geschichten und Begegnungen in der Hansestadt schildert: Im Schlachthof, in „Ankes Bioladen“, an der Elbe – inklusive der Erinnerung an Waders tatsächliche Verstrickung in die RAF-Geschichte, als er seine Wohnung, in Unkenntnis ihrer Identität, Gudrun Ensslin zur Verfügung stellte, die sie dann für Bombenexperimente nutzte. Textlich auf den Punkt, kompositorisch von großer Vielfalt, in den Arrangements erlesen, ist dieses Werk vor dem Hintergrund des historischen Umbruchs ´89 nie richtig wahrgenommen worden. Ich fordere nachdrücklich dazu auf, das nachzuholen! Die Lieder sind zu schön und zu berührend, um ungehört zu bleiben.
Der Anarchist
Wenn ich heute mit anderen Menschen über Hannes Wader spreche, bringen die nicht selten das Lied von den Schmuddelkindern ins Spiel – das ist aber von Franz-Josef Degenhard. Und „der Tankerkönig“ wird genannt. Das ist dann wieder richtig. Dieser Titel – auf dem Album 7 Lieder veröffentlicht – wird völlig zu Recht gefeiert, denn die Geschichte ist monumental und beispiellos in ihrem galligen und verstörenden Anarchismus: Der Erzähler stößt den Chef des Kaufhauses, „in dem ich bis dahin die Papierverbrennungsanlage bedient hatte“, in ebendieselbe, wo nämlicher Chef dann, noch bevor die Polizei eintrifft, rückstandslos verbrennt. Später zwingt der Erzähler den Tankerkönig, einen aufgeblasen-vulgären Kapitalisten, einen Joint zu rauchen, „so dick wie ein Ofenrohr“. Im Rausch meuchelt der Tankerkönig dann (vermeintlich) mit einer antiken Streitaxt seine Gattin, steigt aufs Dach der Luxus-Villa, glaubt fliegen zu können, stürzt sich hinunter und bleibt zerschmettert auf dem sorgfältig geharkten Kies der Hauseinfahrt liegen. Der später aufgekommene Verdacht, Wader sei ein geistiger Wegbereiter des RAF-Terrors gewesen – hier hat er wohl Nahrung erhalten. Was übersehen wird: Wader hat in diesem Talking Blues auch sein Selbstbild als revoltierender Bürgerschreck recht gründlich auseinandergenommen. Da er noch nichts vom bewaffneten Klassenkampf gehört habe, wird er nämlich von keinem Geringeren als Che Guevara (per spiritistischer Séance zugeschaltet) als Geisteskranker eingestuft, dem offenbar nur eine psychiatrische Behandlung helfen kann.
Sein Grunddilemma hat Wader damit schon früh und sehr hellsichtig beschrieben. Was immer er auch tut – er kann es keinem recht machen. Und – er will es wohl auch nicht. Auch seinem Publikum nicht, dem gegenüber er immer ein latentes Misstrauen hegt. Schon beim großen Durchbruch auf dem Waldeck-Festival 1966. Vor der Menge, die nach seinem Auftritt begeistert auf ihn zustürmt, rennt er weg. Er glaubt, sie will ihn verprügeln. In der unbeirrbaren Trotzigkeit, mit der weitermacht und künstlerisch immer neue Wege einschlägt, ist er einem anderen Songwriter sehr ähnlich, der dieser Tage ebenfalls den 80. Geburtstag feiern kann: Bob Dylan.
Die Nachkommen
In einem seiner Interviews hat Wader formuliert, dass seine Lieder ihn jetzt nicht mehr brauchen. Weil es inzwischen eine ganze Reihe von Künstlern gibt, die sie aufgenommen haben oder live spielen. Von Philipp Poisel über Michael Schulte bis zu die Toten Hosen.
Dass ich selbst seit 36 Jahren als Künstler unterwegs bin, einen Hannes-Wader-Abend im Repertoire habe, eigene Lieder schreibe und veröffentliche – es liegt zu einem guten Teil an den Liedzeilen Waders, von denen ich mich schon als 12jähriger besonders angesprochen fühlte: „Dass man mich nicht vermisst, schon nach Tagen vergisst, wenn ich längst wieder anderswo bin. Stört und kümmert mich nicht, vielleicht bleibt mein Gesicht doch dem ein oder andern im Sinn.“
Lieber Hannes Wader, zum 80. Geburtstag gratuliere ich von Herzen. Und mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit. Für eine Unzahl wunderbarer, lustiger und berührender Lieder, für großartige Konzerte – und für das Vorbild eines Künstlers, der – so verletzlich er sich auch zeigen mag – im tiefsten Innern doch unbeeindruckt von dem bleibt, was andere sagen, und stattdessen auf seine innere Stimme hört. Glückwunsch!
Zum Weiterlesen, -sehen und -hören:
Waders Autobiographie mit dem Titel "Trotz alledem". Detailliert und offenherzig ist sie tatsächlich auch ein deutscher Gesellschaftsroman, der einen fast unglaublichen Lebensweg von den späten Weltkriegsjahren bis in unsere Gegenwart schildert.
Als vermeintlicher RAF-Sympathisant und Kommunist von den Medien boykottiert, konnte man Wader eher selten im Fernsehen erleben. In der ZDF-Sendung "Na siehste" stellt er den Titel Hafenmond von der "Nach-Hamburg"-CD vor. Anmoderiert von… Günther Jauch. Nicht verpassen!
Ein Kinofilm wiederum dokumentiert ein sehr erfolgreiches Projekt und späten Karriere-Triumph Waders: Eine Reihe von Konzerten, die er gemeinsam mit Konstantin Wecker bestritten hat. Der Titel des Films "Wecker-Wader-Vaterland".
Ein ausführliches Radio-Feature der Liederlounge von WDR 5 mit vielen Liedausschnitten aus Anlass des 80. Geburtstages findet sich in der WDR-Mediathek.
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